„Da ist doch nur ein Wirbel haussen.“ „Man muss es doch nur richten“. „Das Becken ist schief“, also wieder gerade machen, dann ist der Rücken auch wieder gerade und dann die Schmerzen weg. „Der Schmerz kommt, weil da was klemmt.“ Also muss man die Schublade wieder locker machen. Es fühlt sich wie verhakt an, alles fest, ein Rucker, ein Knacker, und endlich ist wieder alles frei. Das sogenannte „Einrenken“ ist jedoch gefährlicher, als es Nutzen bringt.
Aus diesem Grund „renke“ ich nicht ein. Nach 30-jähriger Berufserfahrung weiß ich, was ich tue, und weiß, was ich lasse. Im normalen Medizinalltag mangelt es am nötigen Fachwissen, um zu verstehen, was sich wirklich im Rücken des Schmerzgeplagten abspielt. Nur langjährig ausgebildetete Osteopathen, Manualtherapeuten und Schmerzärzte wissen, was Schmerzen im Rücken verursacht, wie Rückenschmerz funktioniert und natürlich, wie man die Schmerzen wieder in den Griff bekommen kann. Das bedeutet jedoch für beide Seiten, Therapeut und Patient, engagierter Arbeitseinsatz. Der Therapeut muss viel lernen, geschickt sein, aufmerksam zuhören und gut untersuchen, der Patient muss die Anweisungen befolgen und lernen in seinen Körper hören.
Mit nur einem Knacks angeblich alles gut
„Einrenken“ ist viel bequemer. Viele Ärzte und Therapeuten bedienen das Wunschdenken des Kunden. Die Ausbildung zum „Einrenken“, als auch der Chiropraktik, ist imens kürzer als eine osteopathische Ausbildung. Der Patient hat beim Eingriff das Gefühl, das ordentlich was getan worden ist. Jedoch folgt auf jeden Ruck ein kleiner Gewebeschaden, der sich mit der Zeit durch immer stärkere Schmerzen bemerkbar macht. In diesem Zustand ist es auch für erfahrene Schmerztherapeuten schwierig, den Rücken wieder in sein Gleichgewicht zu bringen.
So muss ich immer wieder erleben, wie Menschen ihre Schmerzen verschlimmern, nur weil diese der Vorstellung verfallen sind „mit einem Knacks sei alles wieder gut.“
Unkenntnis und Ungeduld treiben den Schmerzgeplagten schließlich von Therapie A nach Arzt B zu Operation C. Lebensweichen werden gestellt, Schiksale besiegelt in Richtung Dauerschmerz, Resignation und Depression. Das muss nicht sein, wenn nur mehr Mediziner sich wirklich für den Hergang und die Therapie von Rückenschmerzen interessieren würden und die Patienten lernen würden, besser auf ihren Körper hören, was dieser wirklich braucht.
Wo kommt der Rückenschmerz her?
Die 24 Wirbel des Menschen sind mit rund 100 kleinen Gelenken miteinander verbunden. Festgehalten werden die Wirbel von Bändern und von Muskeln. Die einzelnen Wirbel sind derart miteinander verzahnt, dass diese sich kaum untereinander bewegen können. Von Wirbel zu Wirbel sind also nur jeweils kleine Bewegungsausschläge möglich. Bewegen sich alle Wirbel gemeinsam, kommt eine große Beugebewegung zustande. Die einzelnen Wirbelknochen liegen derart über einander, dass es gar nicht möglich ist, dass diese verrutsschen können. Würden diese doch einmal verrutscht sein, dann hat der Mensch einen schweren Wirbelbruch erlitten und ist querschnittsgelähmt.
Wenn nichts ausgerenkt ist, kann auch nichts eingerenkt werden
Wie kommt es zu dem Eindruck, dass etwas verhakt ist, oder schief?
Es sind unendlich viele kleine Muskeln die in einem komplizierten und automatischen System die Wirbelsäule zusammenhalten und die Bewegungen steuern. Bei Überlastungen, wie z.B. halten des Rückens in runder oder verdrehter Position, oder eine kurzzeitige Überanstrengung, verkrampfen einzelne Rückenmuskelfasern. Diese Verkrampfung drückt die Wirbelgelenke zusammen und verdreht die Wirbel etwas untereinander. Das tut weh.
Der Wirbel ist also nicht „raus“, sondern die festhaltenden Muskeln sind verkrampft.
Wie kommt es zu dem entspannenden Gefühl nach dem „Knacken“?
Bei dem plötzlichen Rucken an den Wirbeln werden die Muskeln überlistet. Die Muskelfasern werden quasi für ein paar Minuten an der Stelle „gelähmt“ und lassen dann die Spannung nach. Dadurch können die Wirbelgelenke sich wieder frei bewegen. Der Schmerz läßt nach.
Was ist bei dem „Einrenken“ so gefährlich?
Bei jedem Einrenkmanöver kommt es zu minimalen Gewebeschäden, meistens in den Bändern, aber auch in den Muskelfasern rund um die Wirbelgelenke. Außerdem kann ein Stück Knorpel der Wirbelgelenke dabei abbrechen (bei Vorschaden). Das Bandscheibengewebe kann geschädigt werden. Diese kleinen Gewebeschäden führen zu unterschwelligen Entzündungen, die zum einen neue Schmerzen verursachen, aber langfristig zu Narbenbildung im Gewebe. Die Rückenmuskeln, die Bandsysteme und Wirbelgelenke werden nach mehrmaligem „Einrenken“ immer empfindlicher. Die Rückenmuskeln verlieren mit der Zeit ihre normale Schutzfunktion. Chronische Schmerzen können so entstehen.
Die gefährlichste Nebenwirkung: Wenn man an den „rausgehüpften“ Wirbel glaubt, denkt man nicht nach, woher der Schmerz kommen könnte. Das bedeutet, dass dann keine Änderungen im Alltag erfolgen, z.B. Arbeiten an der eigenen Haltung, Änderung der Arbeitsbedingungen, andere Schuhe, andere Matratze, anderer Sport, Wellnessangebote nutzen usw. Wenn man aber weiter macht wie bisher und sich regelmäßig „renken“ läßt, wird das Rückenproblem immer schlimmer.
Wie kommt es zu dem Ausstrahlschmerz?
Manchmal halten die Rückenmuskeln die Wirbel so sehr eng zusammen, dass die darin liegenden Nerven eingeengt werden. Dann wird der Schmerz nicht nur im Rücken, sondern auch im Gesäß, im Bein oder im Arm gespürt. Die Nerven können auch von den stark verspannten Muskeln selbst eingeengt werden, oft im Gesäß oder im Nacken. Dauerverkrampfte Muskelfasern, sogenannte „Triggerpunkte“ haben ebenfalls die Eigenschaft auszustrahlen. Das sind die häufigsten Schmerzen in der Orthopädie!
Kann es ein Bandscheibenvorfall sein?
Ganz ehrlich: Sehr oft ist es ein Bandscheibenvorfall! Leichte Bandscheibenvorfälle sind sehr häufig. Diese machen eine Zeit lang Schmerzen und heilen von allein wieder aus. Im längsten Fall dauert diese Heilung 4 Monate im kürzesten 3 Wochen. Die Selbstheilung kann nur erfolgen, wenn sich der Betroffene nach seinem Schmerz richtet, sich schont, ggf. Entzündungshemmende Medikamente einnimmt, und so früh wie möglich mit leichten einfachen Alltagsbewegungen beginnt. Durch langes Sitzen und Liegen heilt ein Bandscheibenvorfall nicht aus!
Wenn Lähmungen vorhanden sind, muss der Arzt entscheiden, ob eine Operation durch- geführt werden muss. Lähmungen sind zum Glück sehr selten.
Was kann man selber tun?
Sobald es im Rücken schmerzt, zunächst überlegen, wo das herkommen könnte. Wie kam es zu einer Überlastung, welche Körperhaltung könnte den Schmerz ausgelöst haben? Dann einfach lieb haben und abwarten. Nicht in den Schmerz hineinbewegen, sich schonen. Trotzdem seinen Alltag so gut es geht bewältigen, aber langsamer und vorsichtiger. Nach 2-3 Wochen ist das Schlimmste vorbei. Sich massieren lassen, Wärme, ein heißes Bad tragen zu schnelleren Heilung bei.

